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Ein Name verpflichtet!

100 Meilen in acht Stunden


„ Maseratri - Maseratri aufstehen! „ Träume ich, oder ruft da jemand?

Ehe ich Gewissheit habe, zieht jemand an meinem Schlafsack. Von draußen fällt das Licht einer Straßenlaterne durchs Fenster. Ich richte mich auf und greife nach der Uhr.

„Maseratri - Maseratri aufstehen! „ klingt es erneut von der Pier.

Mein Skipper Uli schaut mich verschlafen an, es ist 4 Uhr 30 und noch dunkel.

Gestern sind wir mit leichten Winden von Göteborg nach Süden gekreuzt. Und vor Varberg
erreicht uns über SMS die Nachricht, dass der Katamaran ILWA VIII und Corsair F27 Trimaran MIKADO uns einen Liegeplatz im Hafen reserviert haben.

Eigentlich wollten wir bis Falkenberg, wo wir schon auf dem Hinweg nach Oslo im Flusshafen an einem niedrigen Schwimmponton über Nacht gelegen hatten.

Doch der flaue Wind seit vielen Stunden hatte uns zermürbt und wir waren froh über das Angebot. So lagen wir kurz darauf im Schatten der Stena-Fähre neben den Freunden, mit denen wir am Multihull-Meeting in Fredrikstad Ende Juli teilgenommen hatten.

Es war ein vergnügter Sommerabend, wir tauschten unsere Erlebnisse der Rückfahrt aus und beschlossen, am nächsten Morgen gemeinsam Richtung Süden nach Dänemark zu segeln.
Der Wetterbericht kündete Nordwest um 3 und moderate Welle an. Deshalb verabredeten wir bei Sonnenaufgang zu starten.

Und nun ruft uns Michael – Skipper des Corsair F 27 - zum Frühstück. Auf der ILWA VIII – einem Kat - ist der Skipper mit seinem Crewmitglied bereits bei den Startvorbereitungen.
Neben uns dröhnen die Motoren der Fähre nach Greena, die unbedingt vor uns durch die enge, betonnte Fahrrinne ins freie Wasser will.

ILWA VIII legt ab und heißt das Groß noch im Vorhafen, wir folgen unter dem grauen Himmel zur Ausfahrt, hinter uns Michael, der Einhand seit fast zwei Monaten unterwegs ist.

Auch in unsere Segel greift der Wind mit Macht, während wir – noch in Landabdeckung und glattem Wasser – dem Tonnenstrich folgen.

Nordwest stimmt, aber 3 Windstärken sind das nicht! Bleigraues Licht liegt über dem graugrünen Wasser, welches heftig an die Mauern der Burg brandet. Vor uns tanzt ILWA VIII bereits in den kurzen, sich überschlagenden Wellen, die um die Landecke im Norden in die Bucht laufen.

Wir sind noch keine zehn Minuten aus dem Hafen, da passieren wir bereits ILWA VIII in Lee.

Weit voraus kämpft sich eine Yacht unter Segeln durch die See – sie verschwindet immer wieder in der diesigen Gischt. Wo will die hin?

Wir haben Kurs auf Kullen abgesteckt und müssen ordentlich vorhalten. 80 Meilen liegen vor uns und der Kahn brummt – immer wieder und immer länger. Das tut er erst ab 13 Meilen Speed – jetzt zeigt der Speedometer 16, 17, 18 Knoten. Wir preschen über die Wellen, die raumschots von Steuerbord achtern unter uns durchrollen. Der Skipper kauert vor dem Plotter und kontrolliert, ob wir den Sollkurs halten können. Ich kann kaum etwas erkennen, die Brille
ist voller Wassertropfen. Der Kompass zeigt Kurs über Grund – aber mir bleibt nur übrig, auf die Wellen zu reagieren.

Zwar hatten wir uns morgens Ölzeug angezogen – aber eher an Wärmeschutz gedacht – jetzt
läuft uns das Wasser in den Kragen. Immer wieder kommt Wasser über, wie aus Eimern klatscht es uns ins Gesicht. Und immer wieder muss ich die Pinne loslassen. Die Wellen werfen uns bis zu fünfzig Grad aus dem Kurs. Ich schätze sie auf 2,5 bis 3 Meter – kurz und kraftvoll krachen sie unter dem Luvschwimmer gegen den Rumpf und lassen diesen erzittern.

ILWA VIII ist weit achteraus kaum noch zu sehen, der Segler an Backbord ist im Dunst hin und wieder als Schemen auszumachen.

Und wieder laufen wir 10 Minuten, 15 Minuten, 20 Minuten lang mit brummendem Rumpf 17 – 18 - 19 Knoten. Langsam wird uns mulmig. Wasser und Wind zerren mit unvorstellbaren Kräften an Rumpf und Rigg.

„ Schaffen wir es?“ schreie ich dem Skipper zu. Er beugt sich zum Plotter, wischt ihn mit einem Leder frei und zeigt mir den hochgestreckten Daumen, bevor er sich unter einer über-
kommenden Welle erneut wegduckt. Mir läuft das Wasser in die Ärmel, in den Hals und trotz Kapuze innen den Rücken runter.

Wieder wirft eine Welle uns aus der Bahn und ich muss mit Gefühl den Kahn erneut auf Kurs zwingen. Sorgenvoll schauen wir beide ins Rigg.

Im Hafen – vertrauend auf die Vorhersage – hatten wir Groß und Fock gesetzt. Das Brummen wird zum Dauerton, wir laufen permanent über 16 – 17 Knoten – und hoffen, es geht gut.

Unser Glück ist, dass der Wind mit 5 – 6, in Böen bis 8 Beaufort raumschots einkommt und die Welle mitschiebt. Nur so können wir bei diesen Bedingungen überhaupt segeln. Rundrum nur Wasser, überall weiße Gischt, kein Schiff weit und breit. Jetzt sind wir gerade mal 30 Minuten unterwegs, 10 Meilen hinter uns liegt Varberg und 50 Meilen voraus muss Kullen sein.

Wir haben nur die Alternative nach Halmstad abzulaufen – aber noch liegen wir auf Sollkurs!

„ Wir sollten reffen.“ ruft mir Uli zu und klammert sich an der Spinnakerwinsch fest.

„ Kriegst Du das hin?“ frage ich nachdem ich unter einer überkommenden Welle wieder hoch
schauen kann.

Statt einer Antwort kramt er den Sicherungsgurt aus der Kiste und befestigt diesen an dem Brustbeschlag seiner Rettungsweste. Dann klart er das Großfall auf und gibt es mir in die Hand.

Wir wissen beide genau, was zu tun ist – schließlich haben wir es oft genug durchgeführt – aber noch nie unter solchen Bedingungen.

Ein Blick zu mir als Einverständnis, dann umklammere ich die Großschot , fiere das Groß weit auf und Uli öffnet die Klemme. Ein Ruck reißt an meiner rechten Hand, mit der ich jetzt Großschot und Traveller halte, während ich mit der linken Hand die Pinne führe.

Über das Luvnetz klettert Uli auf das Vorschiff und sichert sich am Mast, dann nimmt er das Groß mit beiden Händen und signalisiert mir mit einem Blick, dass ich das Großfall fieren soll. Das weit geöffnete Groß hat noch genug Druck, um das Schiff stabil zu halten, die dicht geholte Fock mit ihren 24 qm presst uns unvermindert vorwärts. Und dann zerrt Uli das Groß am Mast nach unten – erstes Reff – dann zweites Reff – eine Markierung vor der Klemme lässt mich nicht zuviel Lose geben. Bei diesem Seegang kann ich nicht von der Pinne – Uli muss die Sicherungsleine umgeschlagen und die Klemme auf Backbordseite schließen. Zurück am Mast, erneut gesichert hängt er das Cunningham ein und zieht das Vorliek stramm. Erleichtert und dankbar sehe ich ihn über das Luvnetz zurück ins Cockpit klettern.
Ich hole das Groß dicht – und trotz des doppelten Reffs brummt der Kahn unverdrossen.
Wir laufen weiter über 16-17 Knoten! Und die Wellen werfen uns weiter unregelmäßig bis zu 50 Grad aus dem Kurs.

„ ILWA VIII-ILWA VIII – Maseratri“ klingt es plötzlich aus unserem Cockpitlautsprecher.
Der Skipper greift sich das Funkgerät und beugt sich unter dem immer wieder überkommenden Wasser in die Kajüte.

ILWA VIII hat keine Sichtverbindung mehr zu uns, aber zu MIKADO – sie liegen ungefähr 10 Meilen hinter uns auf Kurs und alles ist OK.
Wir hatten verabredet, alle Stunde Funkkontakt aufzunehmen.

25 Meilen zeigt die Logge, wir liegen etwas in Luv vom Sollkurs und laufen unvermindert mit Speed einen Höllenritt!

Und dann geht es Stunde um Stunde so weiter. Wasser kommt über, wir werden geduscht, rundherum nichts als mächtige, kurze Wellen, kein Schiff, kein Land – nur der Plotter verrät uns, dass wir auf Kurs liegen.

„ Wie weit?“ „ 40 Meilen.“

„ Wie weit?“ „ 30 Meilen.“

Stunde um Stunde Wasser ins Gesicht, Uli klemmt sich ins Cockpit, ich steuere seit Varberg ohne meine Position verändern zu können.

„Wie weit?“ Immer wieder stelle ich diese Frage, das linke Knie schmerzt, der verdrehte Hals verkrampft sich, nass von oben bis unten trotz Ölzeug, tröstet mich nur, dass das Wasser er- staunlich warm ist.

Der Sorge – ja der Angst - ob alles den Belastungen gewachsen ist, folgt ein gewisser Fatalismus. Wenn jetzt etwas bricht – weitab von jeder Küste - was wird dann passieren in diesem Wellengang und bei diesem Wind?

Und dann plötzlich beugt sich Uli vor und starrt über den Backbordschwimmer voraus.
Ich folge seinem Blick, aber durch die beschlagene Brille voller Wassertropfen sehe ich nur die aufgewühlte See.
Der Skipper beugt sich über den Plotter an der Steuerbordwand, wischt wieder mit dem nassen Handschuh über die Scheibe, blickt erneut Backbord voraus, dann zeigt er in die
graue Fläche mit ausgestreckter Hand „ Kullen!“

Ich kann nichts erkennen!

„ Kullen - das muss es sein!“ Wieder beugt er sich vor zum Plotter.

Ein graues Etwas über der aufgewühlten See – ich ahne es mehr, als dass ich es erkenne, geschweige denn sehe.

Aber es macht uns Mut! Wir haben 40 Seemeilen bei einem Kurs von 180 ° auf der Logge und trotz Welle und Wind gut vorgehalten! Wenn es so weiter läuft, sollten wir den Öresund anlaufen können.

Nun schauen wir immer wieder in die diesige Ferne an Backbord voraus und es wird zur Gewissheit, das muss Kullen sein. Und dann erkennen wir ein Segel im Dunst, welches
mitläuft an Backbord.

Nach fünf nervenaufreibenden Stunden spüren wir Erleichterung. Dänemark liegt vor uns!

Je näher wir dem Land kommen und uns in den Trichter vor Helsingör begeben, je kabbeliger und höher werden die Wellen.

Schon auf der Nordfahrt lagen wir hier zwei Tage fest, bevor wir mit einem heißen Ritt in 6 Stunden von Helsingör nach Falkenberg ins Kattegat gelangt waren. Nun verabschiedete es uns auf seine Weise! Wir sind mit unseren 1,8 Tonnen und Steckschwert bei – gerefft – 45 qm Segelfläche ein Schuhkarton auf dem Wasser!

Immer wieder muss ich – nun seit fast 6 Stunden an der Pinne – die Wellen aussteuern. Aber Land voraus macht uns Mut! Wir können fast Gilleleje anliegen und beschließen bis dicht unter die Küste zu laufen, um dann abzufallen und in den geschützten Öresund zu segeln.

Die ersten Segler stampfen unter der Küste gegenan und Erleichterung erfasst uns! Uli löst mich endlich ab und ich kann ins Netz, meinen Frühstückstee loszuwerden.

Nach 6 Stunden und 70 Seemeilen auf einem direkten Kurs von Varberg queren wir die Einfahrt des Segelhafen von Helsingör.

Wir sind überglücklich, es heil geschafft zu haben und danken unserem tüchtigen Schiff – Respekt vor dem Konstrukteur und der Werft!

Da es erst kurz nach 11 Uhr ist, beschließen wir noch ein Stück nach Süden zu gehen. Im Sund muss es ja nun ein Vergnügen sein – unter Landschutz und in glattem Wasser:

Vier Fähren von Helsingborg nach Helsingör versetzen uns noch einmal in Aufregung – aber dann sind wir im Sund.

Doch was ist das? Kaum haben wir das Schloss passiert, bläst ein strammer West mit 6 von der Kante – und da unter Land keine Welle ist, fängt der Kahn schon wieder zu brummen an!

Nein! Wir wollten doch nun gemütlich Süd gut machen! Pustekuchen!
Schon wieder laufen wir 18 Knoten, vorbei an stolzen Dickschiffen, die mit halbem Wind Richtung Süden gehen.

Wir flüchten unter die Küste. Aber auch hier fällt der Wind unvermindert von der Kante und wir schießen im glatten Wassern dahin. Vorbei an Humlebaek – seinem zum Sund offenen Museum Louisiana mit seinen Skulpturen – an Klampenborg mit seinem von Arne Jakobsen
gestaltetem Ensemble von Häusern, Strand und Tankstelle – vorbei an Carlsberg und den Häfen von Kopenhagen. Immer mit 16-17 Knoten und brummendem Rumpf, bis wir endlich vor Dragör erschöpft aufgeben, die Segel bergen und an der CONSIENCE aus Hamburg längsseits gehen.

 

Es ist 14 Uhr, wir haben 100 Meilen auf der Logge und nur noch einen Wunsch: trockene Klamotten und einen heißen Kaffee!

 

Peter Meincke
August 2007



10.02.2008
by eus