Wir wissen beide genau, was zu tun ist – schließlich haben
wir es oft genug durchgeführt – aber noch nie unter solchen
Bedingungen.
Ein Blick zu mir als Einverständnis, dann umklammere ich die Großschot
, fiere das Groß weit auf und Uli öffnet die Klemme. Ein Ruck
reißt an meiner rechten Hand, mit der ich jetzt Großschot
und Traveller halte, während ich mit der linken Hand die Pinne führe.
Über das Luvnetz klettert Uli auf das Vorschiff und sichert sich
am Mast, dann nimmt er das Groß mit beiden Händen und signalisiert
mir mit einem Blick, dass ich das Großfall fieren soll. Das weit
geöffnete Groß hat noch genug Druck, um das Schiff stabil
zu halten, die dicht geholte Fock mit ihren 24 qm presst uns unvermindert
vorwärts. Und dann zerrt Uli das Groß am Mast nach unten – erstes
Reff – dann zweites Reff – eine Markierung vor der Klemme
lässt mich nicht zuviel Lose geben. Bei diesem Seegang kann ich
nicht von der Pinne – Uli muss die Sicherungsleine umgeschlagen
und die Klemme auf Backbordseite schließen. Zurück am Mast,
erneut gesichert hängt er das Cunningham ein und zieht das Vorliek
stramm. Erleichtert und dankbar sehe ich ihn über das Luvnetz zurück
ins Cockpit klettern.
Ich hole das Groß dicht – und trotz des doppelten Reffs brummt
der Kahn unverdrossen.
Wir laufen weiter über 16-17 Knoten! Und die Wellen werfen uns weiter
unregelmäßig bis zu 50 Grad aus dem Kurs.
„ ILWA VIII-ILWA VIII – Maseratri“ klingt es plötzlich
aus unserem Cockpitlautsprecher.
Der Skipper greift sich das Funkgerät und beugt sich unter dem immer
wieder überkommenden Wasser in die Kajüte.
ILWA VIII hat keine Sichtverbindung mehr zu uns, aber zu MIKADO – sie
liegen ungefähr 10 Meilen hinter uns auf Kurs und alles ist OK.
Wir hatten verabredet, alle Stunde Funkkontakt aufzunehmen.
25 Meilen zeigt die Logge, wir liegen etwas in Luv vom Sollkurs und
laufen unvermindert mit Speed einen Höllenritt!
Und dann geht es Stunde um Stunde so weiter. Wasser kommt über,
wir werden geduscht, rundherum nichts als mächtige, kurze Wellen,
kein Schiff, kein Land – nur der Plotter verrät uns, dass
wir auf Kurs liegen.
„ Wie weit?“ „ 40 Meilen.“
„ Wie weit?“ „ 30 Meilen.“
Stunde um Stunde Wasser ins Gesicht, Uli klemmt sich ins Cockpit, ich
steuere seit Varberg ohne meine Position verändern zu können.
„Wie weit?“ Immer wieder stelle ich diese Frage, das linke
Knie schmerzt, der verdrehte Hals verkrampft sich, nass von oben bis
unten trotz Ölzeug, tröstet mich nur, dass das Wasser er- staunlich
warm ist.
Der Sorge – ja der Angst - ob alles den Belastungen gewachsen
ist, folgt ein gewisser Fatalismus. Wenn jetzt etwas bricht – weitab
von jeder Küste - was wird dann passieren in diesem Wellengang und
bei diesem Wind?
Und dann plötzlich beugt sich Uli vor und starrt über den
Backbordschwimmer voraus.
Ich folge seinem Blick, aber durch die beschlagene Brille voller Wassertropfen
sehe ich nur die aufgewühlte See.
Der Skipper beugt sich über den Plotter an der Steuerbordwand, wischt
wieder mit dem nassen Handschuh über die Scheibe, blickt erneut
Backbord voraus, dann zeigt er in die
graue Fläche mit ausgestreckter Hand „ Kullen!“
Ich kann nichts erkennen!
„ Kullen - das muss es sein!“ Wieder beugt er sich vor zum
Plotter.
Ein graues Etwas über der aufgewühlten See – ich ahne
es mehr, als dass ich es erkenne, geschweige denn sehe.
Aber es macht uns Mut! Wir haben 40 Seemeilen bei einem Kurs von 180 ° auf
der Logge und trotz Welle und Wind gut vorgehalten! Wenn es so weiter
läuft, sollten wir den Öresund anlaufen können.
Nun schauen wir immer wieder in die diesige Ferne an Backbord voraus
und es wird zur Gewissheit, das muss Kullen sein. Und dann erkennen wir
ein Segel im Dunst, welches
mitläuft an Backbord.
Nach fünf nervenaufreibenden Stunden spüren wir Erleichterung.
Dänemark liegt vor uns!
Je näher wir dem Land kommen und uns in den Trichter vor Helsingör
begeben, je kabbeliger und höher werden die Wellen.
Schon auf der Nordfahrt lagen wir hier zwei Tage fest, bevor wir mit
einem heißen Ritt in 6 Stunden von Helsingör nach Falkenberg
ins Kattegat gelangt waren. Nun verabschiedete es uns auf seine Weise!
Wir sind mit unseren 1,8 Tonnen und Steckschwert bei – gerefft – 45
qm Segelfläche ein Schuhkarton auf dem Wasser!
Immer wieder muss ich – nun seit fast 6 Stunden an der Pinne – die
Wellen aussteuern. Aber Land voraus macht uns Mut! Wir können fast
Gilleleje anliegen und beschließen bis dicht unter die Küste
zu laufen, um dann abzufallen und in den geschützten Öresund
zu segeln.
Die ersten Segler stampfen unter der Küste gegenan und Erleichterung
erfasst uns! Uli löst mich endlich ab und ich kann ins Netz, meinen
Frühstückstee loszuwerden.
Nach 6 Stunden und 70 Seemeilen auf einem direkten Kurs von Varberg
queren wir die Einfahrt des Segelhafen von Helsingör. |